Arndt Richter, vielen sicher noch persönlich bekannt durch seine regelmäßigen Besuche auf den DAGV-Tagungen, verstarb nach kurzer, schwerer Krankheit am 2. September 2024 in München, fünf Tage vor seinem 90. Geburtstag.
Von Weert Meyer und Heiko Hungerige
Richter beschäftigte sich schon seit seiner Schulzeit mit Genealogie und hat sich als großer Kenner in der Dynastengenealogie verdient gemacht. Schon früh begeisterte er sich für die
Theoretische Genealogie und erkannte, dass diese nicht ohne die Unterstützung der EDV auskommen kann.
Das Standardwerk Siegfried Röschs, seine Quantitative Genealogie (als Teil A aus „Goethes Verwandtschaft“ von 1956), wurde für Richter zeitlebens zur Richtschnur seiner Arbeiten. So ergab sich ab 1973 eine tiefe
Freundschaft und langjährige Zusammenarbeit mit dem 35 Jahre älteren Rösch, der bereits 1984 verstarb. Viele der von Rösch angestoßenen Forschungen führte Richter fort. Eine besondere Vorliebe
Röschs, das Mehrfachvorkommen Karls des Großen auf dynastischen Ahnentafeln, wurde von nun an auch von Richter weiter gepflegt.
Der besondere Erbgang des X-Chromosoms wurde von ihm erstmals 1979 beschrieben und unabhängig davon 2005 von Luke A. D. Hutchison „wiederentdeckt“. In der Folge wurden dann die in der DNA-Genealogie beliebten sog. „X-DNA Inheritance Charts“ vermehrt publiziert, u. a. von Blaine Bettinger und Debbie Parker Wayne.
Besondere Erbgänge in der Ahnentafel (modifiziert nach Richter, 1979). Angegeben sind die Ahnennummern (AN) nach Kekule.
Um das Mehrfachvorkommen bestimmter Ahnen auf dynastischen, aber auch bürgerlichen Ahnentafeln zu bestimmen, stellte Richter als erster 1987 das Konzept der Verschwisterungsliste (VSL)
für eine Ahnentafel vor.
Fortan war die von Richter vorgeschlagene Verschwisterungsliste Grundlage für alle Berechnungen nach den Regeln der Quantitativen Genealogie, u. a. kann daraus das Mehrfachvorkommen eines Ahns
auf einer Ahnentafel und der daraus resultierende mittlere biologische Verwandtschaftsanteil mit dem Probanden bestimmt werden. Was hier akademisch klingt, hat sehr wohl große Bedeutung: So rückt
Karl der Große, obwohl er hauptsächlich in der 40. Generation auf der Ahnentafel eines heute lebenden Adeligen / Regenten steht, biologisch an die Seite eines Ahns, der seinerseits nur einmal in
der 10. Generation steht. Dieses biologische „Näherrücken“ beschäftigte Richter bei allen seinen Forschungen. Dabei stellte er sich auch stets die Frage, wie bestimmte Charaktereigenschaften oder
Erkrankungen eines Probanden mit bestimmten Ahnen in Zusammenhang stehen und entwickelte hierzu seine These von der besonderen Mittlerrolle X-chromosomaler Gene bei der Ausprägung geistiger Eigenschaften.
Drei der vielen Publikationen von Arndt Richter: „Die Geisteskrankheit der bayerischen Könige Ludwig II. und Otto“ von 1997, „Die Welt der vernachlässigten Abstammungen: ‚Mütterstämme‘ – Töchterketten“ von 2006 und seine autobiografische Schrift "Festgefügtes im Strome der Zeit" von 2009.
In den 1990er-Jahren nahm Richter genau aus diesem Grunde das Schicksal der bayerischen Könige Ludwig II. und Otto in den Blick. Bis etwa 1995 erstellte Richter in enger Zusammenarbeit mit Wolfgang Reimar (München) und Hans Moser (Toronto, Canada) noch manuell deren Verschwisterungsliste, auch alle Berechnungen in dem Buch über die bayerischen Könige wurden von Richter noch per Hand ausgeführt. Parallel dazu schrieb Weert Meyer ein statistisches Auswertungsprogramm (AhnAusw.prg). Damit konnten Verschwisterungslisten eingelesen und dann daraus die biologisch-statistischen Kennzahlen bestimmt werden, u. a. das Mehrfachvorkommen eines Ahns sowie der autosomale und X-chromosomale Verwandtschaftsanteil resp. Verwandtschaftsgrad.
Mit Martin Jülich fand Richter dann einen versierten Informatiker, der mit AhnenImplex eine genealogische Software programmierte, die vielfältige Auswertungsmöglichkeiten auf der Grundlage der Quantitativen Genealogie bietet. Auf Richters Anregung ist es nun auch möglich, die komplexen Verwandtschaftsstrukturen einer Ahnen- bzw. Nachfahrentafel grafisch als „Ahnennetz“ darzustellen. Zudem muss die Verschwisterungsliste nicht mehr manuell erstellt werden: Man nimmt einen Datensatz, erzeugt daraus eine GEDCOM-Datei und liest diese mit AhnenImplex ein. Für jede Person in diesem Datensatz kann nun dessen Verschwisterungsliste automatisch generiert werden. Es war nicht nur Richter eine große Genugtuung, dass AhnenImplex die zuvor manuell berechneten statistischen Kennwerte aus dem Buch über die bayerischen Könige korrekt und übereinstimmend reproduzierte.
In Zusammenarbeit mit dem Dynastengenealogen Axel Schmidt wurden nun von Richter viele weitere Ahnentafeln mit AhnenImplex analysiert. Dabei wurde er auch in den letzten sieben Jahren von Heiko Hungerige vom „Roland zu Dortmund e.V.“ unterstützt.
Wie vielfältig Richters Interessen waren, zeigt auf beeindruckende Weise seine autobiografische Schrift „Festgefügtes im Strome der Zeit – Genealogische Bekenntnisse“ von 2009: Auf 666 Seiten begegnen dem Leser u. a. Johann Wolfgang von Goethe, Gottfried Wilhelm Leibniz, Otto von Bismarck, Gregor Mendel sowie die großen Chemiker der vergangenen Jahrhunderte – stets durch die spezielle Brille eines versierten Genealogen betrachtet, stets aber auch in einen größeren, kulturgeschichtlichen Zusammenhang eingebettet.
Einer von vielen Forschungsschwerpunkten Arndt Richters: Die berühmten Nachfahren des Marburger Bürgermeisters Anton Orth (ca. 1425 – 1507)
Durch seine vielen Veröffentlichungen hat sich Arndt Richter als Genealoge sehr verdient gemacht, darunter u. a. quantitativ-genealogische Analysen der Ahnen- bzw. Nachfahrentafeln von Rübel-Blaß, Siegfried Rösch, Arno Lange, Gregor Mendel, Ernst Haeckel, Gottfried Wilhelm Leibniz, Johann Wolfgang von Goethe, Otto von Bismarck, Ludwig II. von Bayern, Charles III., Prinz Wilhelm Karl von Isenburg, Anton Orth, Martha von Kauffungen, Anna von Mohl, Eckhard Preuschhof sowie der Familie Conzelmann.
Siegfried Rösch und Arndt Richter 1978 in Dettelbach, Unterfranken
2019 wurde er vom Verein für Computergenealogie als „Verdienter Genealoge“ ausgezeichnet.
Viele seiner Forschungsergebnisse sind auf seiner „GeneTalogie-Homepage“ und in der „Digitalen Bibliothek“ der Datenbank des „Roland zu Dortmund“ zu finden und können dort nachgelesen werden.
Sein Tod ist nicht nur für seine Familie und Freunde, sondern auch für die Genealogie in Deutschland ein großer Verlust.
Möge er uns allen in guter Erinnerung bleiben.